OGH 22.10.2024, 4 Ob 4/23a: Vorrang des übereinstimmenden Willens gegenüber dem Vertragstext

Article • Prozessführung von Christian Lenz

Erst kürzlich musste sich der Oberste Gerichtshof ("OGH") mit der Frage auseinandersetzen, ob der übereinstimmende Geschäftswille der beteiligten Parteien auch dann relevant ist, wenn er sich nicht im Vertragstext wiederfindet.

Konkret schlossen die klagenden Verbraucher und die beklagte Bank im Jahr 2002 einen Fremdwährungskreditvertrag ab. Dieser Vertrag wies insbesondere eine Zinsgleitklausel auf, die eine Aufrundung auf volle 0,125 Prozentpunkte vorsah. Zu dieser Aufrundung kam es jedoch tatsächlich nie. Stattdessen wurde von der Bank kaufmännisch gerundet, dh es wurde abgerundet, wenn die Zahl an der ersten wegfallenden Dezimalstelle eine 0, 1, 2, 3 oder 4 ist. Die Kläger begehrten die Feststellung der Gesamtnichtigkeit des Kreditvertrags und stützten sich dabei insbesondere auf eine Missbräuchlichkeit der Rundungsregel gemäß dem Konsumentenschutzgesetz (“KSchG”), da die besagte Klausel einseitig die Bank begünstige.

Diese Ansicht wurde vom OGH nicht geteilt. Der OGH hielt zunächst generell fest, dass auch Zinsgleitklauseln dem KschG entsprechen und etwa Entgeltsenkungen im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie Entgeltsteigerungen erfolgen müssen. Im gegenständlichen Fall hat die Bank jedoch ungeachtet des Wortlauts der Klausel über zwei Jahrzehnte lang keine einseitige Aufrundung vorgenommen, sondern kaufmännisch gerundet. Diese praktische Handhabe ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Klausel nach dem beidseitigen Geschäftswillen auch schon beim Vertragsabschluss keine dem KSchG widersprechende einseitige Aufrundung ermöglichen sollte. Es entspricht der praktischen Lebenserfahrung, dass sich ein Kreditgeber mit einer bestimmten (und für ihn im Vergleich zum Vertragstext nachteiligen) Art der Vertragserfüllung zufrieden gibt, wenn sich diese mit seinem tatsächlichen Verständnis vom Vertragsinhalt und damit auch mit ihrem tatsächlichen Geschäftswillen deckt. Ist von einem derartigen Geschäftswille auszugehen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Wortlaut der Klausel eine Abrundung ausdrücklich ausschließt, weil der übereinstimmende Geschäftswille selbst dann relevant ist, wenn er sich nicht im Vertragstext niedergeschlagen hat.

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Christian Lenz

Das Team
Christian Lenz
Associated Partner / Prozessführung, Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, Immobilienrecht
Christian vertritt zahlreiche Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sowie Glücksspielanbieter in Zivilverfahren zu zivilrechtlichen Haftungsfragen. Er berät seine Mandant:innen beim Erstellen von Vertrags- und Werbeunterlagen sowie zu wirksamen Präventionsmaßnahmen.

Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät (Mag. iur. 2002)