Zum rechtsmissbräuchlichen Abruf einer Bankgarantie

Article • Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht von Raphael Toman, Christian Lenz

  1. Eine abstrakte Bankgarantie zeichnet sich dadurch aus, dass der Garantievertrag vom zugrundeliegenden Geschäft zwischen Gläubiger und Schuldner unabhängig ist. Das bedeutet, dass der Garant (die Bank) die vereinbarte Garantiesumme auch dann ausbezahlen muss, wenn Einwendungen gegen die Forderung aus dem Grundverhältnis bestehen oder diese allenfalls bereits erloschen ist. Das Credo der abstrakten Bankgarantie lautet daher: “Zuerst zahlen, dann streiten”.

 

  1. Die Bank ist jedoch berechtigt die Auszahlung der Garantiesumme zu verweigern, sofern der Abruf der Bankgarantie rechtsmissbräuchlich erfolgt. Mit der Frage, welche Voraussetzungen für einen rechtsmissbräuchlichen Abruf einer Bankgarantie vorliegen müssen, setzte sich der OGH in der Entscheidung 1 Ob 44/24p auseinander.

 

  1. Im Ausgangsfall beauftragte eine Bauherrin eine Generalunternehmerin mit der Durchführung eines Bauvorhabens. Die Generalunternehmerin verpflichtete sich dabei zur Fertigstellung einer größeren Wohnhausanlage gegen Zahlung eines Pauschalpreises iHv EUR 1,4 Mio. Die Bauherrin leistete eine Sicherstellung für diese Zahlung in Form einer Bankgarantie zugunsten der Generalunternehmerin. Die Bestimmungen des Garantievertrags sahen vor, dass die Bank den Garantiebetrag nach Abruf durch die garantiebegünstigte Generalunternehmerin “unter Verzicht auf jede Einrede” binnen acht Tagen auszuzahlen habe.

 

  1. Nachdem die Generalunternehmerin das Bauwerk trotz Fälligkeit und zahlreicher Aufforderungen nicht fertiggestellt hatte und ihre bisherigen Leistungen mangelhaft waren, erklärte die Bauherrin den Rücktritt vom Vertrag und leistete keine weiteren Zahlungen mehr. Die Generalunternehmerin rief daraufhin die Bankgarantie mit der Erklärung ab, dass die Rechnungen trotz Fertigstellung der in Rechnung gestellten Leistungen und des Baufortschritts nicht bezahlt worden seien, weswegen der Garantiefall eingetreten sei. Zu klären war daher, ob der Abruf der Bankgarantie in diesem Fall rechtsmissbräuchlich erfolgte.

 

  1. Dazu führte der OGH aus, dass Rechtsmissbrauch insbesondere dann vorliegt, wenn die Bankgarantie vom Begünstigten für ein Ereignis in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde oder wenn die Schutzwürdigkeit des Garantiebegünstigten nicht mehr gegeben ist. Letzteres wäre etwa dann der Fall, wenn der Begünstigte die Bankgarantie in Anspruch nimmt, obwohl bereits eindeutig feststeht, dass die besicherte Forderung nicht mehr besteht und er daher die Garantiesumme sofort wieder herausgeben müsste. Der OGH bejaht das Vorliegen von Rechtsmissbrauch in dieser Situation jedoch nur unter der Voraussetzung, dass das Nichtbestehen der besicherten Forderung zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist. Hält sich der Begünstigte allerdings aus vertretbaren Gründen zum Abruf berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden. Da dazu erforderliche Feststellungen fehlten, verwies der OGH die Rechtssache zurück an das Gericht zweiter Instanz.

 

Das Team
Raphael Toman
Partner / Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, Compliance & Interne Untersuchungen, Kapitalmarktrecht, Öffentliches Wirtschaftsrecht & Regulatory, IP & Datenschutz, Legal Tech
Raphael betreut vorwiegend Finanzdienstleister in Verfahren vor Zivil- wie Verwaltungsgerichten sowie bei regulatorischen Fragestellungen, Geldwäscheprävention, Sanktionen sowie Kryptowerte. Daneben vertritt er Mandant:innen aus verschiedenen Branchen in (grenzüberschreitenden) streitigen Verfahren. Weiters unterstützt er Unternehmen in datenschutzrechtlichen Belangen, und ist selbst Datenschutzbeauftragter bei einem Biotechunternehmen sowie einem internationalen Sportverband.

Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät (Mag. iur. 2011; Dr. iur. 2019)
New York University, Leistungsstipendium der Universität Wien (LL.M. 2017)
Zulassung als Rechtsanwalt auch in New York (2017)
Stagiaire bei der International Chamber of Commerce (2018)


Christian Lenz
Associated Partner / Prozessführung, Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, Immobilienrecht
Christian vertritt zahlreiche Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sowie Glücksspielanbieter in Zivilverfahren zu zivilrechtlichen Haftungsfragen. Er berät seine Mandant:innen beim Erstellen von Vertrags- und Werbeunterlagen sowie zu wirksamen Präventionsmaßnahmen.

Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät (Mag. iur. 2002)