Risikofaktor derivate suits

Article • Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht von Fabian Schinerl

Im Bundesstaat New York haben findige Anwälte offenbar ein neues Geschäftsmodell für sich entdeckt: Klagen gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder europäischer Aktiengesellschaften.

 

1. Amerikanische Aktionärsklagen: Haftungsrisiko für Aktiengesellschaften

Im Bundesstaat New York haben findige Anwälte offenbar ein neues Geschäftsmodell für sich entdeckt: Klagen gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder europäischer Aktiengesellschaften. Die Besonderheit: Dort werden Rechte, die nur einer Gesellschafterminderheit zustehen, unter Aushebelung der Mehrheitsbefugnisse geltend gemacht – und unter Umgehung österreichischen Rechts. Eine Entwicklung, die auch für heimische Organmitglieder heikel werden könnte.

 

2. Rosenfeld for and on behalf of Deutsche Bank AG vs. Achleitner et al.

Beispielhaft für die Klagewelle ist ein Verfahren gegen die Deutsche Bank AG. Die größte Bank Deutschlands war in den vergangenen Jahren in zahlreichen Finanzskandalen verwickelt – die Folge: der Börsenkurz rutschte zeitweilig auf unter 6€. Dafür müssen sich Organmitglieder der Deutsche Bank AG nun vor New Yorker Gerichten verantworten. Dabei ist das Verfahren in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.

Bei diesem Verfahren möchte die Klägerin – eine verärgerte Aktionärin der Deutsche Bank AG – Ansprüche gegen das Unternehmen geltend machen. Dabei sind es nicht ihre eigenen Ansprüche die sie geltend macht, sondern die, die das Unternehmen selbst gegen die Verantwortlichen hat. Ist die Klage erfolgreich wird demnach an das Unternehmen und nicht an die Aktionärin geleistet.

Weiters sind in der Regel nur die heimischen Gerichte – das sind jene in denen das Unternehmen seinen Sitz hat – im Zuge solcher Aktionärsklagen zuständig. Die Zuständigkeit der New Yorker Gerichte über diesen Sachverhalt, der Organmitglieder einer deutschen Aktiengesellschaft betrifft, lässt sich dabei durch eine Besonderheit des Gesellschaftsrechts des Bundestaates New York erklären: § 626 des NY Business Corporation Acts erlaubt es einzelnen Aktionären sogenannte derivative suits (Aktionärsklagen) vor New Yorker Gerichten einzubringen. Explizit selbst auch dann, wenn sich die Klage gegen ein ausländisches Unternehmen richtet. Bedingung dafür ist aber, dass das Unternehmen im Bundesstaat New York einer Geschäftstätigkeit nachkommt.

Die Summen, die dabei auf dem Spiel stehen, sind aus europäischer Sicht exorbitant hoch. So können amerikanische Gericht in besonderen Fällen sogenannte punitive damages zusprechen, die weit über den wirklich entstandenen Schaden hinausgehen.

 

3. Rechtslage in Österreich

Mit ähnlichen Klagen mussten Organmitglieder in Österreich bisher (noch) nicht rechnen. Zwar gibt es sie, aber im Vergleich zu den amerikanischen Bestimmungen lassen sich im heimischen Recht zwei wesentliche Unterschiede feststellen. Zum einen kann nicht jeder Aktionär allein klagen, hierfür müssten sich zumindest 10% der Aktionäre zusammenschließen und zum anderen muss das Unternehmen vor Einbringung einer Aktionärsklage aufgefordert werden, diese Klage selbst zu erheben (§ 134 AktG). Zudem ist dem österreichischen Recht die Idee von punitive damages fremd. Hierzulande kann bloß der tatsächlich entstandene Schaden eingeklagt werden.

 

4. Auswirkungen

Aktuell ist noch nicht ersichtlich, wie das Verfahren gegen die Organmitglieder der Deutschen Bank AG endet. Aufgrund der liberalen Rechtslage in New York ist jedoch eines bereits jetzt klar: Haben die Klagen Erfolg, drohen weitere. Ein Indiz dafür, dass die Organmitglieder von Unternehmen diese Häufung von derivative suitsals Gefahr wahrnehmen, findet sich im Versicherungswesen. Bereits jetzt bieten einige Versicherungen Erweiterungen für ihre klassischen D&O-Versicherungen an, um Kosten aus Aktionärsklagen zu decken.

Auch österreichische Aktiengesellschaften sind gefährdet. Insbesondere dann, wenn Aktiengesellschaften geschäftlichen Tätigkeiten in New York nachgehen. Darunter wird beispielsweise das Betreiben von Büros, das Anbieten von Dienstleistungen oder auch der Umstand, dass Teile des Umsatzes in New York erwirtschaftet werden, verstanden. Damit aber Aktionäre rechtliche Schritte gegen Organmitglieder in Erwägung ziehen, wird es wohl auch notwendig sein, dass Missstände der betroffenen Organmitglieder auch medial begleitet wurden.

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Fabian Schinerl
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