OGH 18.4.2023, 6 Ob 71/22t: Gesellschafterstreit mit Nachspiel

Article • Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht von Christian Lenz

Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern einer Aktiengesellschaft (AG) in einem Vergleich entwickelte sich in den vergangenen 15 Jahren zu einer spannenden Auslegungsfrage über den wertpapierrechtlichen Charakter von Nachbesserungsrechten.

Die klagende Partei ist eine auf Nachbesserungsrechte spezialisierte Beteiligungsgesellschaft. Die beklagte Partei war Hauptaktionärin einer AG, deren Hauptversammlung 2007 beschloss, die Streuaktionäre im Zuge eines “Squeeze-Out-Verfahrens” – gegen Zahlung einer Barabfindung – aus der Gesellschaft auszuschließen. Einige der ausgeschlossenen Aktionär:innen bekämpften diesen Beschluss mit einer Anfechtungsklage. Mit diesen schloss die Hauptaktionärin daraufhin einen Vergleich, indem sie sich zur Zahlung von EUR 137,94 pro Aktie verpflichtete. Beim Handelsgericht Wien ist nun ein noch laufendes Verfahren zur Überprüfung dieser Barabfindung anhängig.

Aufgrund der Einleitung dieses Überprüfungsverfahrens wurde jedem/jeder Aktionär:in ein Wertpapier mit ISIN – und damit ein Nachbesserungsrecht – eingebucht. Eine Investmentbank erwarb diese Nachbesserungsrechte und verkaufte sie 2018 an die klagende Beteiligungsgesellschaft. Diese war der Ansicht, dass als Inhalt des Kaufvertrags auch alle mit den Nachbesserungsrechten verbundenen Rechte übergehen. Die Beteiligungsgesellschaft begehrte nun von der Hauptaktionärin die Aufzahlung auf jenen Betrag, den die klagenden Streuaktionäre im Zuge des Vergleichs als Barabfindung erhielten. Die Hauptaktionärin verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen Aktionären und mache sich daher schadenersatzpflichtig.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies die Klage ab: Die Vertragsparteien gehen im Regelfall nicht davon aus, dass mit der Übertragung eines Wertpapiers auch andere Ansprüche des ehemaligen Aktionärs als eine eventuelle Nachzahlung aufgrund des Überprüfungsverfahrens auf den Erwerber übergehen. Beim Handel mit Nachbesserungsrechten liegt eine Wette auf den Ausgang des laufenden Preisüberprüfungsverfahrens vor: Der Käufer hofft auf einen für ihn positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens, der Veräußerer will hingegen seinen potenziellen Anspruch “versilbern” und den von ihm gewünschten Betrag erhalten. Der Erwerb von Nachbesserungszertifikaten bringt daher nicht das Recht mit sich, Schadenersatzansprüche gegen den Hauptaktionär – etwa wegen allfälliger Verletzung des Gleichbehandlungsgebot – geltend zu machen.

 

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Christian Lenz

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Christian Lenz
Associated Partner / Prozessführung, Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, Immobilienrecht
Christian vertritt zahlreiche Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sowie Glücksspielanbieter in Zivilverfahren zu zivilrechtlichen Haftungsfragen. Er berät seine MandantInnen beim Erstellen von Vertrags- und Werbeunterlagen sowie zu wirksamen Präventionsmaßnahmen.

Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät (Mag. iur. 2002)

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