EuGH 29.9.2022, C-633/20: Angebot zum Beitritt in eine Gruppenversicherung ist Versicherungsvermittlung

Article • Prozessführung von Christian Lenz

In einer aktuellen Entscheidung (C-633/20) hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu beurteilen, ob eine juristische Person, deren Tätigkeit darin besteht, freiwillige Mitgliedschaften in einer von ihr abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, als Versicherungsvermittler zu qualifizieren ist.

Der Sachverhalt war jener, dass die Beklagte einen Gruppenversicherungsvertrag mit Schutz für Krankheit und Unfall bei Reisen abschloss. Sie beauftragte in der Folge Werbeunternehmen damit, Verbrauchern den Beitritt zur abgeschlossenen Gruppenversicherung gegen Entgelt anzubieten. Die mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) vergleichbare deutsche Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) war der Ansicht, dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine Versicherungsvermittlung handelt, für die eine gewerberechtliche Konzession erforderlich sei. Sie klagte deshalb auf Unterlassung dieser Tätigkeit. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) stellte daraufhin ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, weil für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts eine dem EuGH vorbehaltene Auslegung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) notwendig war.

Der EuGH bejahte die Eigenschaft der Beklagten als Versicherungsvermittlerin, weil der Begriff bereits dann erfüllt ist, wenn eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung ausgeübt wird. Der Begriff der Versicherungsvermittlung ist demnach weit zu verstehen und umfasst nicht nur das bloße Anbieten und Vorschlagen von Versicherungsverträgen. Vielmehr ist bereits das Anbieten eines freiwilligen Beitritts zu einem Gruppenversicherungsvertrag tatbestandsmäßig, weil diese Handlung darauf gerichtet ist, dass Versicherungsnehmer mit einem Versicherer Versicherungsverträge abschließen. Nicht relevant ist hingegen, dass die Versicherungsvermittlerin selbst Versicherungsnehmerin (der Gruppenversicherung) ist. Auch der Vergütungsbegriff ist erfüllt, zumal er ebenfalls weit zu verstehen ist und verschiedene Arten von Gegenleistungen umfasst. Es ist daher unschädlich, wenn der Versicherungsnehmer keine Provision vom Versicherer erhält, sondern durch Leistungen des Versicherungsnehmers in die Gruppenversicherung vergütet wird.

 

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Christian Lenz

 

Das Team
Christian Lenz
Associated Partner / Prozessführung, Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, Immobilienrecht
Christian vertritt zahlreiche Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sowie Glücksspielanbieter in Zivilverfahren zu zivilrechtlichen Haftungsfragen. Er berät seine MandantInnen beim Erstellen von Vertrags- und Werbeunterlagen sowie zu wirksamen Präventionsmaßnahmen.

Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät (Mag. iur. 2002)

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